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Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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und daſſelbe bis zur höchften Spitze treibt, daß fie es aber für
eben so grauſam, als ungerecht halten müfsen, wenn auch ſie mit-
hineingezogen werden und darunter leiden sollen! Eine gänljliche
Trennung vom Syſtem des Zollvereins und eine Stellung,
wie sie die anderen Küſtengegenden Deutſchlands haben, wäre im-
mer das Beſte und Heilsamſte für sie. So wie ſie jetzt ſtehen,
können ſie nicht stehen bleiben, ohne mit der Zeit den allerbedenk -
lichſten Folgen entgegen zu gehen!

D Simmern, 24. Juni. Die Uebungen des 3. Bataillons,
29. Landwehr-Regiments, sind beendigt und lassen dieses Jahr bei
allen Freunden des Fortschritts einen wohlthuenden Eindruck zurück.
Denn es zeigte sich vom Gebildetſten bis zum schlichten Ackersmann,
der ſich nie um Politik bekümmerte , ein reger Geiſt des Fort-
ſchritts und ein Hand-in-Hand-Gehen; doch kam es vor, daß, als
der Herr Major in begeiſterter Rede die Wehrmänner zum Patrio-
tismus anfeuern wollte, mehrmals Gelächter und Pfeifen gehört
wurde. Andere Erzeſſe kamen nicht vor; nur erlaubten ſich zwei
kaum 18 Jahr zählende Linienoffiziere das r, vertrauliche Du " bei
alten bärtigen Landwehrbürgern anzuwenden. Die Maſſe der Land-
wehrmänner, sogar die Landwehr-Offiziere sprachen sich laut darüber
aus und selbſt der Scherz bemächtigte sich dieses Gegenſtandes. Am
Meiften ergötzte bei andern Anlässen ein Trauerspiel, unter dem Titel :
„der Bürgermeiſter als Todtengräber.- oder „-der Lieutenant in tau-
send Aengſten-, welches auf dem Bürgerſtück ( Exercirplatz ) meiſter-
haft aufgeführt wurde.

Die erſte Grundlage dieses einigen freien Sinnes iſt unftreitig
die Meinung, man strebe immer mehr dahin, die Landwehr soldatiſch
zu behandeln und sie so den Linientruppen gleich zu stellen, was aber wohl
nimmer geschehen soll noch wird, da die Landwehr ihre Stellung er-
kannt und bei te diesjährigen Uebung klar gezeigt hat, daß sie mün-
dig geworden ift.

Der Herr commandirende General und Diviſtons-General, sowie
der Chef des Bataillons, konnten dieß auch an dem Vorexerciren
wahrnehmen. :

Mùürnſter, 26. Juni. Man liest in öffentlichen Blättern,
daß im Zuchthausſe zu Münch en der Versuch gemacht worden,
die Prügelſtrafe gänzlich zu beseitigen. Es dürfte wenig
bekannt sein, daß auch im hiesigen Zuchthauſe versucht ward, eine
gleiche Maßregel durchzuführen. Bis gegen Ende 1844 war, den
beſtehenden Vorschriften gemäß, die körperliche Züchtigung eine im
hieſigen Zuchthaus gegen die Uebertreter der Hausordnung häufig

zur Anwendung gebrachte Strafe; man zählte in einem Jahre wohl

bis gegen 200 einzelne Fälle. Dem Director der Anſtalt entging
nicht, welchen erheblichen Ausſtellungen die Prügelſtrafe schon im All-
gemeinen unterliegt, wie es an und für ſich bereits bedenklich er-
ſcheint, durch ein lediglich gegen das thieriſche Moment des Men-
schen gerichtetes, nur auf den sinnlichen Schmerz gegründetes Straf-
mittel sittliche Heilung zu erzielen; seine eigene Erfahrung beſtätigte
diese Bemerkung, sie zeigte ihm, daß die körperliche Züchtigung häufig,
statt Trotz, Frechheit, wilden und ungesetlichen Sinn zu brechen,
dieſelben nur verſtärke, oft in dem Gezüchtigten eine Verſtocktheit, ei-
nen verhalténen, tiefen Grimm erzeuge, wodurch der moralische Zweck
der ganzen Zuchthausſtrafe nur zu leicht vereitelt werde. Diese Er-
fahrungen, verbunden mit der Unmöglichkrit, bei der Beschränktheit
des Raumes, einsame Einsperrungen in vollem Umfange eintreten zu
laſſen, und bei den Gefahren für die Gesundheit, welche aus länge-
rem Aufenthalte in den Strafzellen des ungesunden Zwingers oder
wiederholtem Koſtentzuge drohen, führten darauf hin, nach neuen
Strafmitteln auszuschauen und versuchsweise eine Strafart allgemei-
ner anzuwenden, welche bisher nur sehr vereinzelt vortam. Es wur-
den nämlich hohe rothe Kappen gefertigt, auf welchen das Vergehen
des Trägers mit hervortretender Schrift bezeichnet iſt, z. B. faul,
untreu, ungehorsam u. s. w.; dieſe Kappen sollten (hoffentlich nicht
nach Willkür „des mißmuthigen oder gereizten Aufsehers.-) bei und
außer der Arbeit während des ganzen Tages getragen werden. Man
hätte faſt vermuthen sollen, daß eine Strafe dieser Art, welche we-
der ein körperliches Uebel dem Züchtlinge zufügt, noch irgendwie die
äußere Lage desselben verschlechtert, vielmehr ganz im Gegensatze zu
der Prügelſtrafe lediglich eine ernſte Ansprache an das Ehrgefühl
enthält, ganz eindruckslos vorübergehen werde. Es belohnte sich je-
doch unerwartet das Vertrauen, welches man diesen anscheinend so
yerderbten Gemüthern schenkte. Die Pappkappen haben seit Decem-
ber v. I. es möglich gemacht, von der Prügelstrafe bei Handhabung
der Disciplin gänzlich abzugehen; selbſt bis dahin, „verſtockte Sünder,--
bei welchen die frühern Strafen wenig fruchteten, beſtrebten sich , der
beſchämenden Strafe zu entgehen. Körperliche Züchtigungen konnten
in den erxſten Monaten ganz vermieden werden, im Monat Mai
kamen 3, im Monat Juni bis jetzt 2 vor. – Möglich, daß die
überraschende Wirksamkeit der Pappenkappen zum Theil der Nenheit
und Ungewöhnlichkeit dieser Strafe zuzuschreiben iſt und sich im Laufe
der Zeit einigermaßen verlieren wird. (Weſtf. M.)

+* München, 28. Juni. Mein jüngster Bericht (s. Nr. 169)
hat von verschiedenen Gegner n der baieriſchen Landwehr gesprochen.
Die namhafteſten derselben ſind: erſtens die politische Furcht,
welche in dieſem Institut die Elemente und damit auch die Fakul-
täten einer pariser Nationalgarde enthalten ſieht. Diese geg-
neriſche Meinung iſt die an Zahl und Halt geringſte, und muß es
wohl auch sein und täglich mehr werden, je weiter Kenntnisse und

Erfahrungen den wahren Zeitbegriff und eine klare Zeitanſchauung

umher verbreiten und die abgelebten Vorurtheile einer Längſtver-
gangenheit vollends absorbiren. Jedem unbefangenen Blicke leuchtet
ein, daß das thatsächlich conservative Prinzip sich heutzutage gerade
in dem Volkstheile verkörpert, welcher den Fond der Landwehr bil-
det, nämlich im Grundbesitzter und Gewerbsmann, im eigentlichen
Bürger. Daher stützt sich denn selbſt im „revolutionären. Frankreich
das Königthum vielfach auf die Nationalgarde, welche doch unend-
lich demokratischer organisſirt iſt, als die in Baiern. Zum Ulbberfluß
iſt der esprit de corps der Pariser nicht der des übrigen Frank-
reichs, und wie sehr hat fich sogar in jener beweglichen Weltstadt
die Stellung und Haltung der bewaffneten Bürgerſchaft während des
letzten Decenniums modifizirt?!

Als zweiten Gegner des Landwehrwesens glaube ich den umili-
täriſchen Zuchtgeiſt " bezeichnen zu dürfen. Derselbe zerfällt in zwei
Fraktionen: eine, welche in abſtraſter Theorie ein nicht vollſtändig
ausgelerntes Waffenhandwerk für unnütz hält, und eine andere, welche
aus Eitelkeit oder auch aus Mißtrauen, dadurch entbehrlich zu er-
scheinen, die Concurrenz mit andern Ehr- und Wehrberechtigten haßt.

Jener erſteren Richtung wollen wir vor der Hand Nichts entgegen.

halten, als das Jahr 1813. Die Geschichte hat die Thaten der
preußiſchen Landwehr und deren Antheil an der Befreiung Deuſch-
lands aufgezeichnet und stimmt damit auch das Urtheil entſchiedener
Freunde der ſtehenden Heere überein, zu deſſen Beleg wir nur die
Worte anführen wollen, welche der verſtorbene König Friedrich Wil-
helm III. einstmals gegenüber einem die Landwehr kritiſirenden Gene-
rale ſprach: „Denkt an Katbach, Lüt en und Beerenl- -
War damals nicht die Landwehr, die begeisterte, dabei: es hätte ſchlecht
um euch geſtanden.n Es iſt sehr begreiflich, daß der flüchtige Drang
nach Orden, Beförderung und Nachruhm in der Menſschenſeele keine
größeren Dinge zu verrichten vermag als der bleibende Opferſinn
für Weib, Kind und Heerd, und deßhakv ſchon oft die glänzendſte offenſive
Kriegskunſt an der natürlichen Defenſion der Vaterlandslicbe ſcheiterte.
Was die zweite Richtung betrifft, so mögen Diejenigen, welche
den Schein der eigenen Entbehrlichkeit sürchten, bedenken, daß kein
Vernünftiger in unsern Zeiten an eine gänzlich e Ersetzung des
Linienmilitärs durch die Bürgerbewaffnung denkt, und selbſt in die-
sem angenemmenen nicht zugegebenen Falle, immerhin geschulte Of
fiziere mit Ausschluß der Nebenbeschäftigung (?]) das Ganze und
die Theile lehren und leiten müßten; diejenigen aber, welche aus
bloßem unmotivirten Standesstolze verachtend oder lächelnd auf
das bürgerliche Waffen- Inſtitut herabblicken, mögen erwägen, daß
der jetzige König ſich nicht geschämt hat, als Kronprinz die Land-
wehr des Königreichs zu kommandiren, und daß noch ein Prinz
des Hauſes Wittelsbach aktiver Kreiskommandant der Landwehr
von Oberbaiern iſt. Der Ruhm „vor dem Feinde gewesen zu sein“,
kann. nicht von unsern jungen Linien-Offiziers geltend gemacht wer-
denz denn schon gibt es genug Hauptleute, welche nicht mehr an
das Campagne-Zeichen von 1815 reichen, während gerade die De-
korirten jener und früherer Tage häufig noch unter der Landwehr
und vielleicht gar als Gemeine zu finden ſinn. Das Verdienſt
\zuerſt vor den Feind zu kommen- iſt ein zukünftiges , mithin ima-
ginäres und selbſt im wirklichen Kriegsfalle prekäres ; denn, wenn
etwa eine Armee nach dem Feldzugsplane sich um eine in der Lan-
desmitte gelegene Festung ſchaart, dürfte wohl naturgemäß die Land-
wehr an den verſchiedenen Grenzen etwas früher zum Hankkuß
fommen. ~
Ueber die andern Gegner unseres Landwehrwesens, darunter
auch die Absicht einer liberalen Nüancirung, welche die Halbheit
und damit auch das halbe Gute als mehr schädlich als nützlich von
ſich stößt, dann aber auch und ganz besonders die persönliche Insuf-
fizienz vieler Landwehroffiziere zu rechnen iſt, das nächſte Mal.. |
+++ Stuttgart, 29. Juni. Der heutige „Beobachter-, enthält
zwei Aufsätze über die Hinrichlung der Giftmiſcherin Ruthardt. Vir
geben hier den erſtern unter der Aufschrift das peinliche Gericht t-«
„Vier Uhr Morgens, grauer Himmel, und Regen ganz gewiß —
~ Aber der letzte Ueberreſt der deutschen Oeffentlichkeit war schon
einen Gang werth. Nur noch cine Stunde Leben vor sich, kam die
Unglückliche zu Fuß durch die Menschenmenge, welche dürſtete, ihr .
Blut zu sehen. Man sagt, der ihr zugedachte Wagen habe die rechte
Zeit versäumt vor dem Criminalgefängniß vorzufahren. Also eine
neue Demüthigung noch am Morgen ihres Todes aus einem Vej
sehen. Sie ſtieg allein und ohne Unterstützung die Rathhaustreppi
herauf. Das helle, gräuliche Kleid, das mißfarbige, mattroth durc
 
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