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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 238 - No. 267 (1. September - 30. September)
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984

t iſ < e Molive unterſchieben möchten, durch Cabinetsordres zu be-
ſeitigen ſind, muß übrigens die Zukunft lehren. Gewiß aber iſt,
daß der Monat Aug. 1845 einen Wendepunkt in dem Syſteme der
innern preußiſchen Politik bildet, die wenn der jetzt eingeſchlagene
Weg nicht wieder verlaſſen wird, fortan eine ganz neue von der
bisherigen wesentlich abweichende Grundlage gewinnt. Es wird so-
mit manches bisher Gültige und allgemein Angenommene entfernt
werden oder eine Umgeftaltung erfahren müssen. –~ In den Rhein-
gegenden iſt der Eindruck, den die Stolzenfelſer Cabinetsordre macht,
ein für die Dissidenten günſtigere. So lange man sie von „den
Preußen" begünſtigt glaubte, nahm man wenig Theil an ihuenz jett
erregen ſie mehr Sympathie. Seit dem Jahre 1837, als die Re-
gierung den Erzbiſchof Clemens von Köln absetzen ließ, haben wir
merkliche Wandelungen erfahren, mit denen die ultramontane Partei
allerdings zufricden sein könnte, wenn sie dem Staate gegenüber je-
mals sich mäßigen und begnügen könnte. Aber die Geschichte lehrt,
daß sie da, wo man ihr den Finger reichte, gleich Hand und Arm
und Alles nahm, desſen sie überhaupt lebhaft weh ht!
(Brem. Ztg.)

Aus dem Badiſchen, 29. Aug. (Oberrh. Z.) An dem heu-
tigen Tage, als dem Geburtefcſt unseres Großherzogs, werden, wie
bekannt, jedes Mal auch die neuangehenden Bürger beeidigt. Dieser
Hulbigungseid betrifft aber allein die Person bes Fürſten, während
man in einem conftitutionellen Staate erwarten sollte, daß die Bür-
ger auch auf die Verfaſsung verpflichtet würden. Wir halten zwar
überhaupt nicht viel auf politiſche Eide, denn in ruhigen Zeiten sind
ſie überflüisſig, in kriegeriſchen aber hängt ihre Kraft und Dauer vom
Glücke der Waffen und von politischen Umständen ab. Ein Bürger,
der sich in eine Verschwörung gegen die Perſon des Fürften oder die
Verfassung einließe, würde in dem Umstand, daß er den Huldigungs-
eid noch nicht geleiſtet habe, vor dem Gesetze keine Entſchuklvigung
finden, ein deullicher Beweis, daß er durch dieſen Eid keine neue
Pflichten übernimmt, sonst könnte man ihn vor Ablegung desselben
wegen Verletzung dieser Pflichten nicht zur Strafe ziehen. Eben so
iſt es freilich mit der Verfaſſang. Auch ohne ausdrückliche Verpflich-
tung auf dieselbe hat doch jeder Bürger die Pflicht, ſie heilig zu hal-
ten, und würde durch Verſchwörung gegen dieselbe des Hochverraths
schuldig. Wenn man aber einmal politiſche Eide will, und wir geben zu,
daß dadurch die auch ſchon vorher bestehende Pflicht dem Bürger noch
heiliger werden könne, so sollte man in conſtitutionellen Staaten auch
sämmtliche Bürger, nicht blos die Deputirten, auf die Verfassung
verpflichten, weil es sonst den Anſchein gewinnen könnte, man halte
die Verfaſſung für weniger heilig und unverleulich, während doch ge-
rade durch ſie die Heiligkeit und Unverlctzlichkeit des Eides erſt aus-
gesprochen und zugesichert wird. Freilich würde auch cine Verpflich-
tung auf die Verfaſſung wenig helfen, wenn nicht die Liebe zu ihr
in die Herzen der Bürger gepflanzt wird. Wo aber dieſe recht le-
bendig ist, da hat sie in der Bürgerbrufi ihren kräftigſten Schutz, und
Jeder schwört vor seinem eigenen Gewifsen den theuern Cid, ſie heilig
zu halten, der ihm so viel gilt, ais ob er ihn vor der Staatsbe-
hörde abgelegt hätte.

Berlin, 25. Auguſt. (Brem. Z.) Nachdem die Berliner die
Sache der proteflantiſchen Freunde compromittirt haben, scheinen sie
auch die Mäßigkeitssache lächerlich machen zu wollen. Die hier im
Kroll’ſchen Vergnügzungspalaſt ſtattfindenden Berathungen der zweiten
Generalverſamrilung der Branntweinsfeinde mühten ſich mehrere Stun-
den damit ab, ob immer mit „ Gebeten angefangen werden müſſe
oder nicht. Nun hört man allenthalben auf der Straße schlechte
Witze darüber. Das Unpopuläre und Unwirksame der 800 deutschen
Enthaltſamkeitsvereine beſtrht darin, daß sie das Uebel mit eigenthüm-
lich pietiftiſchen Mixturen curiren wollen, und statt auf Mäßigkeit,
auf gänzliche Enthaltsamkeit verpflichten, ohne ven Fuſel, diesem Ver-
zweiflungstroſte ves Proletariers, etwas Beſſeres zu ſubflituiren. Dex
hiesige Criminalbeamte und Herausgeber des | Publiciſt, Verfaſſer
der „jüdiſchen Gauner in Deutſchland-- , F. A. Thiele, aufgefordert,
seine criminaliſtiſchen Erfahrungen der Generalverſammlung mitzu-
theilen, hat ein „Offenes Sendſchreiben an die zweite Generalver-
sammlung der deutſchen Vereine gegen das Branntweintrinken- erlaſ-
ſen, worin er zunächſt entschieden, und auf Erfahrung stehend, darauf
dringt, daß die Vereine ihre Praxis, durch ſpeciftſch-.religiöse Mittel
das durchaus ſitiliche und sociale Laſter des Trunkes heilen zu wol-
Icn, gänzlich aufgeben und die Nüchternheitsfrage vom religiös - pieti-
stischen Standpunkte durchaus auf das ſittliche Gebiet verlegen, denn
vas Volk ist mißtrauisch und aufsäsſig gegen Alles, was nach Pietis-
mus und Myſticismus ſchmeckk. Das Laſter hat seine erſte Quelle
durchaus im physischen und moralischen Clendb, in ſchlechter Erziehung,
mangelhaftem Berdienſt, schlechter Koſt, schlechter Behandlung rc. und
nicht in Jrreligtöſität, Wir haben sehr religiöſe (?) Säufer, und
umgekehrt ſind die meiſten Verbrecher, wie Th. aus Erfahrung ver-
ſichert, schr nüchtern. Unsere Diebe ſchonen ihre Genie, um damit

immer productiv zu raffiiniren. Zweitens verlangt Thiele eifrigſte
Hinwirkung auf Erlangung eines wohlfeilen und guten Bieres als
Ersſag für den Fuſel, und bis dahin drittens nur Mäßigkeit, statt der
unpopulären und im nordischen Klima für die sogenannten Proleta-
rier und im Freien Arbeitenden unausführbaren gänzlichen Enthal-
tung von Spirituesen. Die Hauptmächte gegen die Völlerei liegen
in den Händen des Staats und der ganzen Sscialität und deren
Arbeits- und Lohnverhältniſsen.

Stuttgart, 29. Aug. Ronge kommt bis 15. September nach
Stuttgart, dem hier abzuhaltenden Concile anzuwohnen. Er zeigte
dies der hiesigen deutsch - katholiſchen Gemeinde in einem heute dahier
eingetroffenen Schreiben an. Da auch nach einem in der geſtrigen
General- Versammlung der deutsch- katholiſchen Gemeinde verleſenen
Schreiben aus Clberfeld, welches so beginnt: „Euer Ruf zu einer
Synode ſcheint uns sehr an der Zeit, die dortige Gemeinde ſich
mit den meiften des Niederrheins und Weſtphalens verständigt hat,
das hieſige Concil zu beſuchen, so iſt gar kein Zweifel mehr, baß
daſſelbe sehr zahlreich beschickt und die Berathungen und Beschlüſſe
von nicht geringer Bedeutung für ganz Süd- und Wefideutſchland
werden dürften. Es werden daher bereits die Vorbereitungen auf
das Thätigſte betrieben.

Aus dem Obererzgebirge. Auch auf unsern Bergen spricht
ſich die öffentliche Stimmung gegen die Bekanntmachung der in Evan-
gelicis beauftragten Staateminiſter vom 17. Juli unverholen aus,
und zwar allgemeiner, als vielleicht irgendwo im ganzen Königreiche,
was seinen Grund wohl darin hat, daß es dem Alllutherthum bier
oben nie gelungen iſt, sich auszubreiten. Das Volk neigt ſich faſt
durchweg einer freieren Auffaſſung des göttlichen Wortes zu, und un-
ſere Geiſtlichen sind mit nur wenigen Ausnahmen dem Rationalis-
mus zugethan, wenn auch noch nicht viele auf dem Stantyurkte der
proteſtantiſchen Lichtfreunde ftehen. Und selbst Diejenigen, deren Geiſt
sich noch nicht ganz von den Feſſeln des Altlutherhhums emasxecipirt
hat, und die mehr in einer pietiſtiſchen Richtung das Heil ſuchen,
ſträuben fich gegen die von der Slaatsgewalt behauptete Macht über
die Gewissen der Menschen. Großen Anklang fand daher die Crim-
mitzſchauer Proteſtation, und schon ift man an vielen Orten thätig,
entweder dieſer ſich anzuſchlicßen, oder ſetbſtf{ändig in anderer Weiſe
zu proteſtiren. – Unangenehmen Eindruck hat unter einem großen
Theile der erzgebirgischen Bevölkerung auch die Unterdrückung der
(Sächs. Baterlandstl.)

Schweiz.
Luzern, 28. Auguſt. Heute ret)en wieder 119 am Freiſchaa-
renzug Betheiligte vom Kriminalgericht zu 6, 10, 12, und 18 Mo-
nat Zuchthaus verurtheilt. Einer, Namens Zemp , Fabrikant aus
Uffikon, wurde sogleich dahin abgeführt; die Andern werden beim
Großen Rath um Milderung einkommen. Das Schmerzlichſte für
fühlende Mitmenschen iſt wohl, zusehen zu müssen, wie politisch
verurtheilte Ehrenmänner mit den gemeinſten Verbrechern zu öffent-
licher Arbeit ausgeführt werden. Man kann sich nichts Empören-
deres denken als dieſe gehäsſtge Beſsriedigunz keine Grenzen kennender
Rache unser kirchlichen Matadore.

Großbritannien.

Der , Herald „ berichtet über eine Heldentbat der Mannſschaft
des britischen Kreuzers Pantaloon an der afrikanischen Küſte, die in
drei Booten ein großes mit 4 Zwölfpfündnern bewaffnetes Scla-
ven sc i f f nach längerer Jagd trog seiner Kartätschen- und Trau-
benschüfse enterte und nach blutigem Kampfe wegnahm. Die Boote
zählten nur 30, das Sclavenschiff aber 50 Mann, meiſtens Spanier.
Sieben der letzteren und zwei Engländer blieben todt auf dem Magye
und auf beiden Seiten gab es meyre Schwerverwundete. ,

~ Aus Jrland lauten die Ernteberichte bloß hinfichtlich des
Weizens etwas ungünstig, obgleich von einer Mißernte gar keine
Rede iſt, in Betreff aller übrigen Felderzeugniſſe aber unerwartet
erfreulich; insbesondere versprechen die Kartoffeln einen reichen Ertrag.

Rußlaud und Polen. S1g0f

General Woronzoff, der Oberbefehlshaber im Kaukasus, iſt mit-
mittelſt k. Rescript vom 18. d. zum Füiſten ernannt worden. Sie
haben, heißt es im Reskript, vollkommen meine Erwartungen gerecht-
fertigt, indem Sie ins Innere der bis dahin unzugänglich gehal-
tenen d ag h e ſtani schen G birge vorgedrungen sind. Sie haben
persönlich das Commando über das Haupt-Detaſchement übernom-
men und sind mit dem eigenen Brispiel unerschütterlicher Ausdauer
und Aufopferung den Truppen auf dem Wege zu unvergeßlichen
Thaten vorangegangen. Mit kühnem Schritte drangen unsere tap-
feren Heere über unwegsame Gebirge und ſchlugen die Gebirgsbewoh-
ner in ihren unzugänglichſten Zufluchtsörtern auf den Höhen von
Antschimeier und beim Thore von Andia. Nach hartnäckigem Kampfe
nahmen sie Darg o, den Hauptzufluchtzort Schamyl's und bahnten
mit dem Bajonett fich in den tiefen Forſten von Iiſchier ihren Weg,

„Sonne" gemacht.
 
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